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Paranoia - die siebziger Jahre
Frankreich in der Epoche der Paranoia - ein Land in Angst
 
Paranoia: Die siebziger Jahre sind in Frankreich vor allem als Paranoia Epoche bekannt. Das geht allerdings weit über den Film und den Kriminalfilm im Speziellen hinaus. Die Paranoia Motivik ist auch ein ganz speziell französisches Phänomen, welches in keinem anderen Land zu dieser Zeit auftaucht.

Vorstufen zur Paranoia, gab es in Frankreich schon immer. Besonders aber in den 60er Jahren wurde in den Filmen von Jean-Pierre Melville mit dem Motiv der Ambiguität, was soviel wie Mehrdeutigkeit bedeutet. In diesem Fall hieß dies, daß Gangster und Polizei sich auf einer metaphysischen Ebene verstanden. Sie sind auf gewisse Weise austauschbar, sehr gut wird das in Melvilles Hauptwerken "Der zweite Atem", "Der eiskalte Engel", "Vier im roten Kreis" und in ""Der Chef" deutlich.

Eine weitere Stufe zur Paranoia, liegt im französischen Verständnis des Staates an sich. Viele Franzosen empfinden den Staat und seine Nomenklatura als unübersichtliches amorphes Gebilde, mit undurchsichtigen Wege und Kanälen. In der Zeit nach den Unruhen des Jahres 1968, drehte 1970 Yves Boisset zum Beispiel den Film "Un conde / Ein Bulle sieht rot". Michel Bouquet in der Hauptrolle des Inspektors Favenin, erpresst mit grausamen Methoden Geständnisse und drückt auch schon mal ab, wenn es ihm so passt. In die Stimmung der Zeit passend, erschien der Staat und sein Personal als bedrohliches Ungeheuer, das auch gnadenlos tötet.

Boisset nahm das Thema noch einmal auf in seinem Meisterwerk "Le juge fayard dit "le sherif" / Der Richter den sie Sheriff nannten" aus dem Jahr 1977. Nach einer wahren Begebenheit spielt Patrick Dewaere den Richter Fayard, der vor einem kriminellen Machtapparat ermordet wird, nachdem er sich mit ein paar Leuten zuviel angelegt hatte. Dabei sind nicht nur Staatsbeamte korrupt und kriminell, diesmal überlassen sie die Schmutzarbeit echten Gangster und sind freundschaftlich mit nicht weniger kriminellen Unternehmern verbunden.
In diesem Film rekrutieren sich die Gangster vor allem aus den Reihen der OAS, einer kriminellen Gruppe ehemaliger Algeriensöldner. Teilweise schwerer Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen angeklagt, wurden die Mitglieder der OAS in den 70er Jahren in Frankreich auch in der allgemeinen Kriminalität (Prostitution, Glücksspiel, Erpressung) aktiv und wurde die OAS zum Staat im Staat, mit teilweise geheimbündlerischen Strukturen. Politisch war die OAS rechtsnationalistisch orientiert und klar verfassungsfeindlich.

Das Meisterwerk des Paranoiafilms ist aber ohne Zweifel "Le secret / Das Netz der tausend Augen" (1974) von Robert Enrico. Der mysteriöse David (Jean-Louis Trintignant) entflieht aus einem psychiatrischen Gefängniskrankenhaus und tötet dabei einen Wächter. Er flieht auf das Land in die Cevennen, wo er Thomas (Philip Noiret) und Julie (Marlene Jobert) begegnet, die dort auf einem abgelegenen Gehöft leben.
Er erzählt den beiden von einem Geheimnis, was niemand wissen darf, wenn er nicht im Namen der Staatsraison ermordet werden will. Julie und Thomas sind zunächst skeptisch, doch Thomas glaubt David und freundet sich mit ihm an. Er will ihm helfen über die Grenze nach Spanien zu entkommen. Julie unterrichtet unterdessen ihren Bruder, der Beziehungen zum Innenministerium hat, über den mysteriösen Fremden. Auf der Fahrt zur Grenze geraten sie immer wieder in Straßensperren und müssen sich verstecken. Als sie nahe Minimar sich in einer kleinen Hütte in den Dünen verstecken, um die Flucht zu organisieren, überraschen David und Thomas einen Waldarbeiter bei ihrer Unterkunft. Sie verfolgen ihn in einem Pinienhain, wo David den Mann, den sie für einen ihrer Verfolger halten, erschießt. Julie ist schockiert über den Mord, es kommt zum Streit, Julie entreisst David die Pistole und tötet ihn. Während Thomas Julie tröstet und zu beruhigen versucht, nähern sich aus mehreren Richtungen die Killer im Staatsauftrag und erschiessen die Beiden.

"Das Netz der tausend Augen" lebt wie kein anderer Film im Gefühl der Paranoia, seine Protagonisten wissen nie, welche Bedrohung sie erwartet und was sich dahinter verbirgt. So bleibt bis zum Schluss unklar, ob David wirklich gefährlich ist oder ob er die Wahrheit sagt. Die Strassensperren, die sie überwinden müssen, gelten einem anderen Entflohenen, wie sich später herausstellt, doch das Gefühl der Bedrohung bleibt.
In einer weitern eindrucksvollen Sequenz, stürmen eines Morgens Truppen der französischen Armee das Gehöft, Hubschrauber kreisen und Panzer rollen auf das Haus zu. Die drei glauben sich in der Falle, doch der ganze Spuk erweist sich als Manöver der Armee.
 
Filmplakat zu Robert Enricos 'Das Netz der tausend Augen'
Filmplakat zu Robert Enricos 'Das Netz der tausend Augen'
 
 
 
Filmplakat zu Yves Boissets 'Der Richter, den sie Sheriff nannten'
Filmplakat zu Yves Boissets 'Der Richter, den sie Sheriff nannten'